What all the fuzz is about... oder eine französische Höhle und ihre Besucher
Jetzt steh’ ich tatsächlich erstmalig hier im Mekka der europäischen Höhlentaucherei. 1600 Kilometer Autofahrt liegen zwischen mir und zu Hause, der Himmel ist mit Wolken bestückt, das Grün um mich herum fast erdrückend und neben dran fließt eifrig ein elbbrauner Fluß, die Cele. Jawohl, elbbraun durch die mitgeführten Schlammteilchen kommt sie daher, ist höchstens 15 Meter breit und von der angekündigten Höhle ist weit und breit nichts zu sehen. Zwei Indizien lassen mich allerdings glauben, dass hier nicht versteckte Kamera mit mir gespielt wird: die herumliegenden Scooter und Stages von zwei Jungs aus Holland und der Gesichtsausdruck von Buddy Derk. Dem fehlt nämlich das schelmische Grinsen, dass er drauf hat, wenn er mich mal wieder auf den Arm nimmt. Und er sollte es wissen. Hat er doch die Höhle, die sich hier irgendwo befinden soll, schon mal von innen gesehen.
Wir sind im Gebiet des Lot und der Dordogne, einem beliebten Höhlentauchziel in Süd-Frankreich, in dessen Karstgestein sich im Laufe der Jahrtausende unzählige Höhlensysteme ausgewaschen haben, die auch heute noch mit jeder Menge unerforschter Systeme aufwarten. Unser Forschungsauftrag lautet allerdings anders – wie geht Höhlentauchen überhaupt? Zusammen mit Katharina, der Dritten im Team, haben wir uns zur Beantwortung dieser Frage in die erfahrenen Hände von „Höhlenprofessor“ Jarrod Jablonski und seinem „Doktoranden“ Tom Karch begeben. Eine Woche dauert unsere Grundschule, die den Namen GUE Cave Diver 1 trägt und neben einigen theoretischen Einheiten im Klassenraum jede Menge praktische Übungen über und vor allem auch unter Wasser enthält. Dabei geht es die ganze Zeit vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Komplexen, vom Bekannten zum Unbekannten... Trainingsmethodik pur. Denn das ist es, was wir für unsere zukünftigen Unternehmungen in wassergefüllten, oben geschlossenen Räumen brauchen: Höhlentauchtraining.
Aber zurück zur Cele, die immer noch munter vor sich hin plätschert und von Zeit zu Zeit ihren Wasserstand ändert, wenn in Marcilhac das Wehr geöffnet und sie ungebremst durchgelassen wird. Ohne ihrer (mir unbekannten) Wasserqualität Unrecht tun zu wollen, lädt sie zum Baden nicht direkt ein. Aber wenn sie den Weg zur Höhle darstellt, die wir betauchen wollen, nehme ich im Trocki gerne ein Bad.
Einige Meter und einen Trampelpfad den Hang hoch warten entlang der Strasse die geparkten Autos darauf, dass wir sie von ihrer Fracht in Form von Doppelgeräten und diversem weiteren Tauchequipment befreien. Ein ausführliches Briefing, etwas Rüstzeit und eine Kletterei am Flussufer später hat sich die neugierige Reisegruppe mit Fotoapparat in fünf Taucher verwandelt, die am Einstieg ihre Ausrüstung im Wasser der Cele durchchecken.
So... und wo bitte ist jetzt diese Höhle?
Ja, überhaupt. Die Höhle, um die es hier in Wirklichkeit geht: die „Emergence de Ressel“. Dem Fremdsprachenexperten ist natürlich bekannt, dass der Begriff „Emergence“ aus dem Lateinischen von „emergere“ kommt, was so viel bedeutet wie „auftauchen, hervorkommen“. Ahaaa... jetzt kommen wir der Sache langsam näher, warum von der Höhle nichts zu sehen ist. Wir haben nämlich Juli und damit Sommer. Einer Jahreszeit, in der üblicherweise der allgemeine Wasserstand niedrig ist. Wenn das Gegenteil der Fall ist und das Wasser kräftig aus der Höhle drückt, bildet sich mitten in der Cele ein Wasserpilz. Vielleicht hat da mal ein Franzose am Ufer gestanden und sich gewundert, was da aus dem Wasser auftaucht?
Am Einstieg im Fluss stehend ist jedenfalls nichts zu sehen und ich verlasse mich auf unsere beiden Experten, die eine kleine Tour flussaufwärts anordnen. Nur doof, dass das Wehr mal wieder offen gewesen zu sein scheint. Nicht mal für meine Körpergröße reicht die verbliebene Wassertiefe um den kompletten Weg zu schwimmen. Mit etwas Kletterei und Geplumpse erreichen wir schließlich einen Baum, an dem eine Leine befestigt ist, die zielstrebig im undurchsichtigen Wasser der Cele verschwindet. Da Bäume üblicherweise nicht angeln, könnte das ein guter Hinweis sein, dass es unter der Flussoberfläche noch irgendwohin weitergeht.
Gespannt? Ich bin‘s. Und bin völlig erstaunt, als nach zwei Meter tasten bei Nullsicht entlang der Leine vor mir plötzlich das Wasser aufklart und den Blick auf eine große Kuhle freigibt. Gegenüber begrenzt von einem versunkenen Baum steigt die Senke flussabwärts mit ihrem Kiesboden von fünf Metern Wassertiefe an. Linker Hand dann die Ursache für das klare Wasser: der Höhleneingang der Emergence de Ressel. Da kommt man schon ins Staunen, wenn man noch nie eine Süßwasserhöhle gesehen hat. Der Eingang sieht von außen recht imposant aus und ich kann beim ersten Besuch des Höhlenpools nur schwerlich der Versuchung widerstehen meiner Neugierde nachzugeben und gleich darin zu verschwinden. Vor dem Vergnügen kommt aber immer erst die Arbeit und so sind erst ein paar Übungen im Freiwasser fällig, bevor wir auf die Höhle losgelassen werden.
Der erste Besuch hat etwas von Weihnachten, denn große glückliche Kinderaugen machen wenigstens Katharina und ich. Endlich selbst erleben, wovon wir schon so viele Geschichten gehört haben. Die Ressel ist für den Höhlentauchneuling ein toller Einstieg. Ein recht großzügiger Eingang führt in einen Tunnel, der auf den ersten ca. 170 Metern fünf bis acht Meter breit ist. Der Hauptleine auf der linken Seite des Tunnels dicht folgend erreicht man eine moderate Durchschnittstiefe von ca. elf Metern. Am Grund des Gangs überall Felsplatten und –brocken, die sich anscheinend in grauer Vorzeit von der Höhlendecke gelöst haben und teils steil vom Grund hochragen. Ich fühle mich ständig erinnert an das Bild „Eismeer“ von Caspar David Friedrich.
Für mich beim ersten Tauchgang ziemlich unerwartet: Es ist laut! Irgendetwas rumpelt ständig über unseren Köpfen. Es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass wir diese Geräusche selber verursachen. Es sind die Blasen unserer Ausatmung, die sich als schillernde Ovale an der Decke zu größeren Einheiten zusammenfinden.
Im Laufe des Kurses und auch bei den Tauchgängen danach, erkunden wir die Ressel ein ganzes Stück weit. Ist das spannend zu gucken, was es hinter der nächsten Ecke zu sehen gibt! Bei ca. 170 Metern gibt es eine Abzweigung, ein sogenanntes T, an der sich der Taucher entscheiden muss, ob er der Hauptleine zur „Galerie Principale“ folgt oder den Seitentunnel, den sogenannten „Shunt“, erkundet. Natürlich nicht, ohne vorab eine entsprechende Markierung der Ausgangsrichtung am T vorgenommen zu haben! Beide Wege haben ihren eigenen Reiz, unterschiedliche Tiefenstrukturen und Tunnelcharaktere und begeistern mich gleichermaßen. Aber auch das ist noch nicht alles, was es in der Höhle zu entdecken gibt. Wer genau hinsieht, wird vielleicht einen der Troglobiten (=Höhlenbewohner) finden. Kleines asselartiges Getier, ca. zwei Zentimeter groß und mit mehreren Beinpaaren versehen, das sich schneeweiß und blind mit zwei riesigen Antennen am Kopf seinen Weg durch die Höhle sucht.
Naja und dann gibt es da noch das andere Getier, das uns in einen rot-schwarzen Trocki gekleidet auf dem Weg zurück zum Ausgang ständig im Nacken hängt und versucht uns zu ärgern. Es steht auf Lampenschalter, Backuplampen, nicht gleich verstaute Pigtails, hat einen Blasengenerator dabei, um Leckagen zu simulieren und ab und an hören wir es unter Wasser lachen, wenn wir die Sekunden meines Stingers ausdiskutieren oder anderen Unsinn anstellen.
Die Ressel war über die Woche unseres Kurses das häufigste Trainingsziel und hat geduldig alle unsere Besuche hingenommen. Dafür haben wir versucht bei all den verschiedenen Drills und Szenarien getreu dem Motto „Take nothing but memories, leave nothing but bubbles“ diese wunderschöne Höhle in ihrem Zustand zu belassen. Ich denke, dass ist uns gut gelungen. Von den drei Höhlen, die wir betaucht haben, hat sie bei mir den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen und die Neugierde ist groß weiter hinter die nächste Ecke zu gucken...
Ein dickes Dankeschön an Tom und Jarrod für ihren unermüdlichen Einsatz und die geduldige Beantwortung auch der allerletzten Frage (nicht, Derk? ), herzlichen Dank an Oli für den indirekten vierrädrigen Surface Support, an Martin & Simon vom „Moulin de Lantouy“ und besonders an meine beiden Buddies Katharina und Derk. Wir waren ein prima Team!
(c) Maren Isigkeit, Katharina Kobjolke, Derk Remmers
edit Mariiie: kleine Rechtschreibkorrektur
edit by .Michl: Pic-Links korrigiert